Vor genau 322 Tagen bin ich aufgebrochen. Aufgebrochen nach
Kanada. Aufgebrochen in ein Abenteuer. Und nun sitze ich am Flughafen in
Vancouver und versuche, das ganze Erlebte noch einmal Revue passieren zu
lassen, gespickt mit Erkenntnissen und Erfahrungen aus diesem kanadischen
Abenteuer. Doch dabei ist die Tatsache, dass ich in Vancouver auf meinen
Flieger warte, statt wie ursprünglich geplant in Toronto, so sinnbildlich für
das, was mir und wahrscheinlich auch mit mir passiert ist. Während der deutsche
Mario, den ihr alle kennt, alles bis ins kleinste Detail im Voraus plant, so
war doch das einzig geplante bei meiner Ankunft 12 Tage in Toronto zu bleiben.
Spontan ging es dann aber nach 5 Tagen bereits nach Montreal, um in Sahra eine
Reisebegleitung für die nächsten Wochen zu finden und so gastierten wir bei
Ana, Leon und Daniel auf der Farm, besuchten Ottawa, Toronto und Niagara Falls,
wo sich unsere Wege wieder trennten. Bei Patrick und Shelley sowie beim Burger
King Team heuerte ich dann in Hörweite der Niagarafälle an und konnte dort mein
Englisch merklich verbessern. So lernte ich unter anderem auch, dass man eine Bestellung
nicht mit den Worten „ I take a hamburger“ aufgibt, sondern es mit „Can I get a
hamburger?“ korrekt formuliert. Mit Eri, Mark, Janina und Tim verbrachte ich
lustige Stunden im Hostel, mal über englische Grammatik diskutierend, mal in
Highspeed Betten beziehen. In Kanada gibt es meiner Erfahrung nach zwei
Jahreszeiten. Den Sommer (so zwischen Mitte Juni und dem ersten Montag im
September) und den Rest des Jahres. Während im Sommer das Leben blüht, die
Städte lebendig und farbenfroh sind und Touristenattraktionen geöffnet haben,
so werden nach dem Labor Day im September die meisten Schotten wieder dicht
gemacht. So ist es nicht verwunderlich, dass ich bis September in Niagara Falls
arbeiten sollte. Aber es sollte dann doch anders kommen, Verena kam zu einem 11
Wochen Besuch und holte mich vollkommen erschöpft aus meinem Doppeljob in
Niagara Falls heraus. Bei Alain und Rémi fanden wir dann für 2 Wochen ein
wunderschönes Zuhause in Québec, bevor es dann über Ottawa, Montreal und Quebec
City zu Kathy und Brian nach Prince Edward Island ging. Gemüse pflücken und
Kartoffeln ausbuddeln standen hier auf dem Arbeitsplan, wunderschöne rote
Sandstrände auf dem Freizeitplan. In Halifax kamen schließlich meine Eltern an
und es ging auf eine atemberaubende Tour mit dem Wohnmobil und eine tolle
Kanutour durch den Algonquin Park. Und dann. Dann war irgendwie wieder alles
wie bei meiner Ankunft im März. Ich stand alleine am Flughafen in Toronto.
Immerhin hatte ich nun ein Zugticket in die Rocky Mountains und so ging es dann
68 Stunden mit dem Zug 3600km gen Westen. Reisen stand mal wieder auf dem Plan.
Ein paar Tage Jasper, ein paar Lake Louise, ein paar in Banff und ein paar mehr
Vancouver. Und jeden Tag die selbe Aufgabe. Nämlich sich selbst zu motivieren,
sich zu sagen: „Mario, du bist nur paar Tage hier, geh raus schau dir das hier
an“. Es mag nicht nachvollziehbar klingen, aber doch ist die Tatsache, dass
auch Reisen müde macht, eine der Erfahrungen meines Trips. In Victoria
verbrachte ich dann mit Isabel, Marie, Julia und Michèle zwei sehr
deutschlastige, aber schöne Wochen beim Klos putzen und Zimmer saubermachen im
Hostel, bevor es dann spontan nach Whitehorse ging, wo ich die Nordlichter
sehen konnte. Zwei Monate in einem Ski Resort zu leben, jederzeit mit der Möglichkeit
auf die Skier zu steigen und ein paar Pisten hinunter zu sausen, ist sicherlich
ein perfekter Abschluss für eine abwechslungsreiche Tour in einem so
abwechslungsreichen Land. Und so bin ich 322 Tage durch ein Land gereist, in
welchem ich niemanden kannte und niemand mich kannte und doch wurde ich überall
freundlich aufgenommen, nett gegrüßt oder zu einem Bier eingeladen. Mir, einem
Fremden, wurde vertraut und sich für ihn und seine Geschichten interessiert.
Etwas, dass ich definitiv, so nicht aus Deutschland kenne. Denn ist es nicht
so, dass man sich in Deutschland lieber anschweigt, wenn man an der Kasse
wartet oder mit einem Rucksack den Sitz im Bus blockiert, damit sich
hoffentlich keiner neben einen setzt? Egal, wo man in Kanada ist, man wird nahezu
immer in ein Gespräch verwickelt, manchmal sogar vorsätzlich, wenn ein Kanadier
am Skilift auf einen Gesprächspartner für die Fahrt nach oben wartet. Vieles
mag davon oberflächlich sein, vieles nicht auf wirklichem Interesse beruhen.
Nichtsdestotrotz hat es mir eines gezeigt. Auch mit Fremden kann man sich nett
unterhalten, ohne gleich deren negative Absichten hinterfragen zu müssen. Denn
weh tut es niemandem. Und so sehe ich Kanada als ein Land des gegenseitigen
Vertrauens, des Respekts und der Rücksicht gegenüber dem Mitmenschen und dessen
Eigentum und des idealistischen Denkens und Handelns. Vieles davon werde ich in
Deutschland vermissen.
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